Hände und Tiere

 

Gabi Klinger arbeitet hauptsächlich gegenstandsbezogen.  (...) Dabei kommt der Handzeichnung gerade hier in der Ausstellung eine doppeldeutige und spannende Rolle zu. Einmal als Fachbegriff für mit der Hand Gezeichnetes, zum anderen in der häufig wiederkehrenden Darstellung menschlicher Hände.

 

Und ihr Handwerk beherrscht sie meisterlich. Mit Hilfe akribisch-präziser Strichführung verwandelt sie Menschen, Tiere, Landschaften und Dinge in beinah fotorealistische Abbilder von großer Plastizität und Tiefe. Inspiration findet sie in ihrer unmittelbaren Umgebung - in der Landschaft ebenso wie in alltäglichen Auseinandersetzung mit Alltagsgegenständen, Werbeprospekten, Zeitungsmeldungen oder selbst fotografierten Motiven, die sie oft collageartig miteinander vernetzt.

 

Bei den Tuschezeichnungen mit Händen und Tieren geht es darum, wie wir heute mit Dingen und anderen Lebewesen im Wortsinn in Berührung kommen.

Bis auf eine Ausnahme war keines der dargestellten Vorbilder wirklich lebendig. Nur die Taube saß als lebendes Symbolbild bei einer Friedensveranstaltung Modell für die Künstlerin. Wir haben ein friedvolles Miteinander selbst in der Hand - so könnte die Bildübersetzung lauten.

Als Wettbewerbsbeitrag zum 22. Mainzer Kunstpreis entstand unter dem Motto "Vision Europa" eine Tuschzeichnung, in der eine scheinbar riesenhafte menschliche Hand einen um Freiheit ringenden weißen Bullen mit festem Griff umfasst. Es ist der griechische Gott Zeus, der in Gestalt eines Stieres die phönizische Prinzessin Europa nach Kreta entführt hat. Heute wird daraus ein ironisches Bild für ein von Europa umklammertes Spielzeug, das bereits im nächsten Moment schon fallen gelassen werden könnte. Bei dem Stier handelt es sich um eine kleine Kinderspielfigur aus Plastik.

Die Hände, die gestisch sehr ausdrucksvoll in ein Knäuel aus Zuckergummischlangen hineingreifen, heben auf die Künstlichkeit all dessen ab, mit dem wir täglich in Berührung kommen. 

 

Was begegnet uns heute in unserer hoch entwickelten Industriegesellschaft tatsächlich noch pur und unverfälscht? 

Lebendige Schlangen jedenfalls kaum. Für Gabi Klinger sind sie Symbolbild dafür, dass wir in unserer aufgeräumten Umwelt kaum noch mit Tieren Kontakt haben. Wir müssen sie uns aus Zucker und Gelatine nachbilden, können uns genussvoll vor ihrem ungefährlichen Anblick gruseln und sie später einfach aufessen.

 

Und selbst das, was wohl den meisten Menschen Unbehagen bereitet, die Spinnen nämlich in unmittelbarer Nähe zu den Händen, waren keine echten Spinnen. Es handelt sich hier um Spinnen-Bilder von Spinnen-Abbildern. Die Vorlagen für die gezeichneten Spinnen bestanden aus Halloween-Accessoires und einer wissenschaftlichen Illustration aus einem Fachbuch. Sie sind also völlig ungefährlich für die sich aus der Bildebene zurückziehenden Hände.

 

(Auszüge aus der Eröffnungsrede von Dr. Karin Bury anlässlich der Ausstellung "Mit Feder, Faden und Farbe", 2012 in Mutterstadt.) 

Mono

 

Gabi Klingers  "Monos"  (...) bilden wirklichkeitsgetreu das Rebland Rheinhessens ab. Eine Kulturlandschaft, die sich auf einen Blick erschließt - so präzise in der topografischen Darstellung, dass sich die Orte problemlos lokalisieren lassen. Je näher man an diese mit Tusche ausgeführten Landschaften herantritt, desto deutlicher wird, dass die Künstlerin für die Darstellung ihrer Weingärten eine eigene "Zeichensprache" entwickelt hat, mit der sie durch kontrollierte, schematisierte Strichführung eine von Menschen angelegte Monokultur - daher auch der Titel - kritisch beschreibt. Der Mensch selbst tritt gar nicht in Erscheinung, sondern nur durch das, was er aus seiner Umwelt geformt hat.

 (Auszüge aus der Eröffnungsrede von Dr. Karin Bury anlässlich der Ausstellung "Mit Feder, Faden und Farbe", 2012 in Mutterstadt.) 

 

 

Ihre “Monos”, die sie für den Wettbewerb einreichte, sind das Ergebnis einer nahezu schwierigen Auseinandersetzung mit Rheinhessen. Aufgewachsen in der lieblichen Gegend rund um Würzburg, “barock geprägt”, habe sie die “nüchterne, entfremdete”, durch und durch vom Menschen geformte Landschaft am Rhein zunächst eher verschreckt, “diese Riesenflächen mit Monokultur”. Bei der Arbeit auf dem Papier hat sie “jedes Erspürte” herausgenommen. Punkt für Punkt, Strich für Strich mit großer Konzentration gesetzt und so regelrecht das “Blatt bewältigt”. “In den rigoros durchgehaltenen Reihen ist besonders das feinfühlige Pulsieren der Linien mit deinen Verdichtungen und Lockerungen zu beachten, welches sich in der Modellierung des Hintergrundes in Form von Punkten rhytmisch fortsetzt”, formulierte es die Jury (des Kunstpreises des Landkreises Alzey-Worms).

Auf den Betrachter strahlen die “Monos” Einsamkeit und Melancholie aus, aber längst hat Gabi Klinger auch die Reize ihrer neuen Heimat entdeckt und nicht zuletzt hat der Westhofener Preis sie motiviert, weitere Zeichnungen
vom rheinhessischen Hügelland zu machen. Man darf gespannt sein. 

(Ulrike Schäfer in der Wormser Zeitung vom 08.06.06, Zeichnungen des Hügellandes überzeugen Jury )