Mit Feder, Faden und Farbe
Gabi Klinger arbeitet hauptsächlich gegenstandsbezogen. (...) Dabei kommt der Handzeichnung gerade hier in der Ausstellung eine doppeldeutige und spannende Rolle zu. Einmal als Fachbegriff für mit der Hand Gezeichnetes, zum anderen in der häufig wiederkehrenden Darstellung menschlicher Hände.
Und ihr Handwerk beherrscht sie meisterlich. Mit Hilfe akribisch-präziser Strichführung verwandelt sie Menschen, Tiere, Landschaften und Dinge in beinah fotorealistische Abbilder von großer Plastizität und Tiefe. Inspiration findet sie in ihrer unmittelbaren Umgebung - in der Landschaft ebenso wie in alltäglichen Auseinandersetzung mit Alltagsgegenständen, Werbeprospekten, Zeitungsmeldungen oder selbst fotografierten Motiven, die sie oft collageartig miteinander vernetzt.
Zunächst möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine Reihe streng grafisch wirkender Arbeiten (...) lenken. Es handelt sich um die 18 kleinformatigen Tafeln, die zu einer Gruppe formiert wurden. Was auf den ersten Blick an umrissscharfe Malbuchvorlagen oder Drucke erinnert, sind in Wirklichkeit auf weißen Köper gestickte Zeichnungen. So wie etwa bei der Lithografie - einem Flachdruckverfahren, bei dem eine zuvor angelegte Kreidezeichnung als Druckgrafik reproduziert wird, so sind hier mit Hilfe entsprechender Software und einer an den Computer angeschlossenen digitalen Stickapparatur selbst gefertigte Zeichnungen ebenfalls beliebig zu vervielfachen. Als spannungsreich erweist sich der Motivmix, der unter anderem niedliche Tiere mit bewaffneten Kriegern kombiniert. Gabi Klinger fühlt sich von Gegensätzen angezogen, liebt Grenzüberschreitungen und jene Momente, in denen Motiv und Stimmung durch bewusste Irritation zu kippen beginnen. Für den Betrachter ist dies sofort nachvollziehbar - befindet er sich doch inmitten der vermeintlich heilen Welt voll weicher Häschen, romantisch dreinblickender Frauen und graziler Ballerinas, die durch Soldaten und Guerillakämpfer mit gezückter Schusswaffe jäh bedroht wird.
Bei den Tuschezeichnungen mit Händen und Tieren geht es darum, wie wir heute mit Dingen und anderen Lebewesen im Wortsinn in Berührung kommen.
Bis auf eine Ausnahme war keines der dargestellten Vorbilder wirklich lebendig. Nur die Taube saß als lebendes Symbolbild bei einer Friedensveranstaltung Modell für die Künstlerin. Wir haben ein friedvolles Miteinander selbst in der Hand - so könnte die Bildübersetzung lauten.
Als Wettbewerbsbeitrag zum 22. Mainzer Kunstpreis entstand unter dem Motto "Vision Europa" eine Tuschzeichnung, in der eine scheinbar riesenhafte menschliche Hand einen um Freiheit ringenden weißen Bullen mit festem Griff umfasst. Es ist der griechische Gott Zeus, der in Gestalt eines Stieres die phönizische Prinzessin Europa nach Kreta entführt hat. Heute wird daraus ein ironisches Bild für ein von Europa umklammertes Spielzeug, das bereits im nächsten Moment schon fallen gelassen werden könnte. Bei dem Stier handelt es sich um eine kleine Kinderspielfigur aus Plastik.
Die Hände, die gestisch sehr ausdrucksvoll in ein Knäuel aus Zuckergummischlangen hineingreifen, heben auf die Künstlichkeit all dessen ab, mit dem wir täglich in Berührung kommen.
Was begegnet uns heute in unserer hoch entwickelten Industriegesellschaft tatsächlich noch pur und unverfälscht?
Lebendige Schlangen jedenfalls kaum. Für Gabi Klinger sind sie Symbolbild dafür, dass wir in unserer aufgeräumten Umwelt kaum noch mit Tieren Kontakt haben. Wir müssen sie uns aus Zucker und Gelatine nachbilden, können uns genussvoll vor ihrem ungefährlichen Anblick gruseln und sie später einfach aufessen.
Und selbst das, was wohl den meisten Menschen Unbehagen bereitet, die Spinnen nämlich in unmittelbarer Nähe zu den Händen, waren keine echten Spinnen. Es handelt sich hier um Spinnen-Bilder von Spinnen-Abbildern. Die Vorlagen für die gezeichneten Spinnen bestanden aus Halloween-Accessoires und einer wissenschaftlichen Illustration aus einem Fachbuch. Sie sind also völlig ungefährlich für die sich aus der Bildebene zurückziehenden Hände.
Gabi Klingers "Monos" (...) bilden wirklichkeitsgetreu das Rebland Rheinhessens ab. Eine Kulturlandschaft, die sich auf einen Blick erschließt - so präzise in der topografischen Darstellung, dass sich die Orte problemlos lokalisieren lassen. Je näher man an diese mit Tusche ausgeführten Landschaften herantritt, desto deutlicher wird, dass die Künstlerin für die Darstellung ihrer Weingärten eine eigene "Zeichensprache" entwickelt hat, mit der sie durch kontrollierte, schematisierte Strichführung eine von Menschen angelegte Monokultur - daher auch der Titel - kritisch beschreibt. Der Mensch selbst tritt gar nicht in Erscheinung, sondern nur durch das, was er aus seiner Umwelt geformt hat.
Mit ihren Gemälden, für die sie die Farben meist selbst herstellt, entführt uns Gabi Klinger in reale und surreale Welten, in denen sie selbst als Urlauberin auftritt, riesige Münder lustvoll ein Gummibonbon vernaschen oder ein in bunte Metallfolie gekleideter Schokonikolaus gerade einen Schwächeanfall im Wald zu erleiden scheint. "Melancholie" umweht das traumbildhafte Selbstporträt der Künstlerin. Selbst Innerstes macht sie für uns sichtbar und entzieht es sogleich wieder unserer Deutung. Eine anonymisierte, geschlechtslose Gestalt kriecht auf einem anderen Bild aus einem Labyrinth heraus, während auf einer weiteren Arbeit ein menschlicher Arm sich mutig voran tastend in die Ungewissheit einer bunt gemaserten Flüssigkeit vor wagt.
Wagen auch Sie den Tauchgang und begeben Sie sich jetzt auf eine spannende Entdeckungsreise durch diese Ausstellung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Auszüge aus der Eröffnungsrede von Dr. Karin Bury anlässlich der Ausstellung "Mit Feder, Faden und Farbe", 2012 in Mutterstadt.)
Zur Werkreihe "Mono":
Ihre “Monos”, die sie für den Wettbewerb einreichte, sind das Ergebnis einer nahezu schwierigen Auseinandersetzung mit Rheinhessen. Aufgewachsen in der lieblichen Gegend rund um Würzburg, “barock geprägt”, habe sie die “nüchterne, entfremdete”, durch und durch vom Menschen geformte Landschaft am Rhein zunächst eher verschreckt, “diese Riesenflächen mit Monokultur”. Bei der Arbeit auf dem Papier hat sie “jedes Erspürte” herausgenommen. Punkt für Punkt, Strich für Strich mit großer Konzentration gesetzt und so regelrecht das “Blatt bewältigt”. “In den rigoros durchgehaltenen Reihen ist besonders das feinfühlige Pulsieren der Linien mit deinen Verdichtungen und Lockerungen zu beachten, welches sich in der Modellierung des Hintergrundes in Form von Punkten rhytmisch fortsetzt”, formulierte es die Jury (des Kunstpreises des Landkreises Alzey-Worms).
Auf den Betrachter strahlen die “Monos” Einsamkeit und Melancholie aus, aber längst hat Gabi Klinger auch die Reize ihrer neuen Heimat entdeckt
und nicht zuletzt hat der Westhofener Preis sie motiviert, weitere Zeichnungen
vom rheinhessischen Hügelland zu machen. Man darf gespannt sein.
(Ulrike Schäfer in der Wormser Zeitung vom 08.06.06, Zeichnungen des Hügellandes überzeugen Jury )
Zur Malerei:
Wenn die Gedanken Flügel bekommen (...)
In leuchtenden Farben lässt die Künstlerin phantastische Wirklichkeitsmodelle entstehen, die den Betrachter fesseln und irritieren. Ein aufregendes Verwirrspiel mit den Augen treiben auch die Labyrinthbilder, die mit der gewohnten perspektivischen Darstellung brechen und die klare Trennung von Vorder- und Hintergrund aufheben. Durch teils flächiges Bemalen der Formen und Figuren entstehen so bewusst herbeigeführte "Störungen" in den Bildern, die sich einem stimmigen Gesamteindruck verweigern. Diese erlebbare Spannung und Unruhe äussert sich in kleinen, erst auf den zweiten Blick erkennbaren Details, aber auch in einer fast überfordernden Farbgebung und amorphen Strukturen, die den Blick ruhelos über das Bild gleiten lassen. Sein und Schein werden spielerisch aufgehoben; sah man eben noch einen Fisch, so blickt man in der nächsten Sekunde in ein weitgeöffnetes Auge, das sich die Form eines Fisches aneignet und ihn aus dem Sichtfeld verdrängt. Geschickt kontrastiert Gabi Klinger in einer collagenähnlichen Montagetechnik konkrete, exakt ausgearbeitete Objekte und plakative Strukturen, um ihren "Traumbildern" Ausdruck zu verleihen. Doppeldeutig ist daher auch der Titel der Ausstellung, denn nicht nur die Motive selbst beschäftigen sich mit den vielfältigen Formen des "Eintauchens", auch der Betrachter muss sich einen Weg in und durch die Bilder bahnen. (...)
Yasmin Hameed in der Wormser Zeitung vom 11. 9. 2004
Schichten und Sichten
In eigenwilliger Motivcollage verbindet Gabi Klinger "Steine und Schokofiguren" (...), in "Familienausflug" diente ein Autoprospekt als Vorlage. Überklebungen, Feinzeichnungen in Grau und Schwarz setzen die "Heile-Welt-Familie" in ein irreales Umfeld, über das sich wohldosierte Tintenbäche ergießen. Störungen einer vermeintlichen Idylle, auch hier wieder die eingreifende Hand, sichtbar, den Tuschestift haltend. Kritisches ist neben Komischem zu entdecken, wie in "Kurbaden", wo vier Männerköpfe aus schwarzem Grund herausschauen, eines der ersten Schichtbilder. Die Ausstellung vermittelt ebenso spannende wie überraschende Sichtweisen. (Rheinpfalz, 07.03.06)